»Geh nach Jena, da hast du eine gute Adresse«

Innovation und Inspiration: Interview mit Prof. Andreas Tünnermann – Teil 2

Jena | 7. Dezember 2023

Für Andreas Tünnermann ist 2023 ein Jahr der Jubiläen: Der international renommierte Laserforscher feierte nicht nur in diesem Sommer seinen 60. Geburtstag. Darüber hinaus blickt er zurück auf mittlerweile 25 Jahre als Lehrstuhlinhaber und Professor am Institut für Angewandte Physik der Universität Jena sowie auf 20 Jahre als Leiter am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF. In mehr als zwei Jahrzehnten hat er den Optik- und Photonikstandort Jena damit wesentlich geprägt und geformt. In einem zweiteiligen Gespräch mit Professor Tünnermann werfen wir daher einen Blick zurück und eröffnen zugleich Schlaglichter auf die Zukunft.  

Erfahren Sie in diesem zweiten Interview mehr darüber, warum es sich lohnen kann, an Forschungsthemen abseits des »Mainstreams« dranzubleiben, ob es den richtigen Zeitpunkt zur Gründung gibt und was der Kalifornische Goldrausch Mitte des 19. Jahrhunderts mit Quantentechnologien zu tun hat. (Teil eins des Gesprächs lesen Sie hier.)

»Herr Tünnermann, zum Ende unseres ersten Gespräches sagten Sie: ›It´s all about the people‹. Speziell die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist Ihnen immer ein wichtiges Anliegen. Das sieht man auch an der Zahl junger Unternehmen, die sich in Ihrer bisherigen Amtszeit aus beiden Instituten ausgegründet haben: Es sind insgesamt 19 Ausgründungen von Unternehmen. Wie motivieren Sie junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit?

Angehende Gründerinnen und Gründer sollten über das ›Unternehmer-Gen‹ verfügen. Sie müssen sich immer wieder die Frage stellen: Wie kann ich dazu beitragen, ein spezielles Problem wirklich zu lösen? Welche Lösungen kann ich anbieten? Diese Fragen sollten aber nicht nur im Fokus von Gründerinnen und Gründern liegen. Sie sollten ganz wesentlich unser Tun bestimmen. Das sind Werte, die ich auch in meiner Funktion als Hochschullehrer und Leiter einer Forschungseinrichtung weitergeben möchte.

Andreas Tünnermann ist seit 1998 Professor für Physik am IAP. Seit 2003 leitet er zudem das Fraunhofer IOF.
© Fraunhofer IOF
Andreas Tünnermann ist seit 1998 Professor für Physik am IAP. Seit 2003 leitet er zudem das Fraunhofer IOF.
Andreas Tünnermann gemeinsam mit einem Kollegen im Labor.
© Dirk Mahler
Andreas Tünnermann gemeinsam mit einem Kollegen im Labor.

Gründer und Gründerinnen sollten also immer am Puls der Zeit bleiben. Lohnt es sich hier, auf ›Trendthemen‹ aufzusatteln? Oder sollte man manchmal auch bewusst abseits ausgetretener Pfade schauen?

Es kann natürlich passieren, dass man in eine Situation hinein gerät in der es plötzlich heißt: Dieses Forschungsfeld ist ausgeforscht. So eine Entwicklung hatten wir vor ein paar Jahren im Bereich der Photonik. Die Aussage – auch von Teilen der Community – war damals, dass wir nun alles über die Photonik wüssten und dementsprechend keine neuen Innovationen zu erwarten wären. Tatsächlich hat sich dann aber gezeigt, dass es innerhalb der Photonik sehr wohl noch interessante Entwicklungen gibt, die dazu beitragen können, Lösungen für die Adressierung globaler Herausforderungen abzuleiten.

Die Photonik wird ohne Zweifel auch zukünftig Innovation in weiteren Schlüsselbranchen ermöglichen, gleichzeitig exzellente Grundlagenforschung befähigen. Deshalb macht es oftmals Sinn, seinen eigenen Überzeugungen zu folgen und auch ein gewisses ›Beharrungsvermögen‹ zu zeigen, auch wenn der Mainstream gegen einen arbeitet. Ein prominentes Beispiel ist für mich die Faserlasertechnologie. In der Lasercommunity haben nur sehr wenige das Potenzial dieser Lasergeometrie für die Realisierung von Systemen höchster Leistung gesehen – und tatsächlich konnte gerade auch unsere Gruppe immer wieder überraschende Skalierungskonzepte entwickeln. Heute ist die Faserlasergeometrie die wichtigste Bauform.

»Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die weltweit Besten der Besten nach Deutschland und Thüringen kommen und mit uns ihre Ideen umsetzen können.«

Andreas Tünnermann

Sie erwähnten Faserlaser als ein Beispiel für die bewusste Entscheidung an einem Thema »dranzubleiben«. Welche aktuellen Themen gibt es, für die Sie und Ihre Teams an den Instituten sich ganz bewusst entschieden haben?

Der Bereich der Quantentechnologie ist ein solches Themenfeld. Wir haben uns an beiden Instituten der Aufgabe gestellt, den Mehrwert des Einsatzes von Quantentechnologien – ›the real benefit‹ - herauszuarbeiten. Wir forschen nicht um der Forschung willen, sondern mit Blick auf die Erlangung originärer Beiträge zum Verständnis fundamentaler Fragestellungen oder zur Adressierung relevanter Anwendungsszenarien.

Solche Entscheidungen bedürfen auch immer einer gehörigen Portion Mut. Speziell die letzten Jahre waren von zahlreichen Krisen gekennzeichnet. Manch einen Forscher- und Unternehmergeist schreckt das ab. Gibt es Ihrer Meinung nach eine »gute« oder »schlechte« Zeit – sei es für den Mut, an einem »totgesagten« bzw. unterschätzten Forschungsthema weiterzuarbeiten oder gar den Schritt in die unternehmerische Selbstständigkeit zu wagen?

Jena soll ein internationaler »Quanten-Hotspot« werden: Die QUNET-Initiative – vom BMBF mit 125 Mio. Euro gefördert und koordiniert am Fraunhofer IOF – leistet dazu einen wesentlichen Beitrag. Hier eine Aufnahme vom Kickoff der Initiative 2019.
© Fraunhofer IOF
Jena soll ein internationaler »Quanten-Hotspot« werden: Die QUNET-Initiative – vom BMBF mit 125 Mio. Euro gefördert und koordiniert am Fraunhofer IOF – leistet dazu einen wesentlichen Beitrag. Hier eine Aufnahme vom Kickoff der Initiative 2019.

Der richtige Zeitpunkt ist, wenn man für sich selbst entschieden hat, dass man seine Ziele bzw. seine Visionen jetzt umsetzen will – die dann ist es letztendlich auch irrelevant, ob man sich in einem wirtschaftlichen Aufschwung oder Abschwung befindet – der Abschwung und der Aufschwung gehen vorbei, die Herausforderung aber bleibt. 

Was macht speziell Thüringen für Sie zu einem lohnenswerten Standort für junge StartUps, aber auch für andere F&E-Unternehmen?

Tatsächlich war dies ein ganz wesentlicher Grund, warum ich damals den Ruf nach Jena angenommen habe. Ich weiß noch genau, dass ich bei einem der ersten Treffen mit dem damaligen Rektor und dem Kanzler der Universität Jena gefragt wurde, was mich denn eigentlich bewegt, nach Jena zu kommen und schon damals stellte ich fest, dass gerade hier die Chance besteht, Wissen in Innovationen zu transferieren. Ich denke schon, dass es uns im Umfeld dieser beiden Institute in der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft und Wirtschaft gelungen ist, diesen Transfer zu leben und die Marke Jena in den letzten Jahren damit weiterzuentwickeln. Besonders stolz bin ich an dieser Stelle auch auf unsere Ausgründungen.

Gründungswillige mit dem nötigen »Unternehmer-Gen«: Hier beispielhaft die Ausgründung Active Fiber Systems GmbH, die 2008 gemeinsam mit Partnern aus Jena mit dem Lothar-Späth-Award ausgezeichnet wurde. Verliehen wurde die Auszeichnung damals durch Holger Hanselka (links), heute Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.
© Wolfgang List
Gründungswillige mit dem nötigen »Unternehmer-Gen«: Hier beispielhaft die Ausgründung Active Fiber Systems GmbH, die 2008 gemeinsam mit Partnern aus Jena mit dem Lothar-Späth-Award ausgezeichnet wurde. Verliehen wurde die Auszeichnung damals durch Holger Hanselka (links), heute Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

Was müssen der Standort Jena aber auch der Freistaat Thüringen tun, um auch in Zukunft weiterhin einen fruchtbaren Nährboden für (junge) Unternehmen zu bieten?

Es gibt weiterhin viele offene fundamentale Fragen in der Photonik, die es gilt zu adressieren und mit dieser Forschung neue Möglichkeiten zu schaffen, Licht in besonderer Weise zu kontrollieren. Gleichzeitig bieten sich heute für unsere Branche besondere Chancen in der Nutzbarmachung quantenphysikalischer Effekte. Die Photonik ist ein ›Enabler‹ der Quantentechnologien und im Moment ist es so wie in Kalifornien zu Zeiten der Goldsuche: Das Geld machen die, die die Schaufeln und die Siebe verkaufen. Die Photonik liefert jetzt gerade die Schaufeln und die Siebe.

Meine persönliche Hoffnung ist, dass wir es hier in der Region schaffen, ein weltweiter Hotspot für die photonischen Quantentechnologien zu werden. Der Freistaat aber auch der Bund und die EU haben unsere Forschungsarbeiten in den letzten Jahrzehnten stark unterstützt – hierfür mein herzlicher Dank für das in uns gesetzte Vertrauen. Ich hoffe natürlich, dass diese Unterstützung auch in den heute wirtschaftlich herausfordernden Zeiten weiter anhält.

Besonders wichtig sind mir dabei die Investitionen in Menschen selbst. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die weltweit Besten der Besten nach Deutschland und Thüringen kommen und mit uns ihre Ideen umsetzen können. Mit der ASP und der MPSP haben wir auch im internationalen Maßstab attraktive Studiengänge geschaffen, wie weit mehr als 1.000 Bewerbungen pro Jahr eindrucksvoll belegen. Ich hoffe, dass wir diese Studienprogramme mit Hilfe der öffentlichen Hand aber auch der Industrie weiter ausbauen können. Unser aller Zukunft wird davon abhängen, ob es uns gelingt, die besten Köpfe für Deutschland zu gewinnen und sie hier zu halten.

»Meine persönliche Hoffnung ist, dass wir es hier in der Region schaffen, ein weltweiter Hotspot für die photonischen Quantentechnologien zu werden. «

Andreas Tünnermann

Was möchten Sie den Kolleginnen und Kollegen am IAP und Fraunhofer IOF abschließend gern mit auf den Weg geben?

Bleibt Euch treu! Versucht Eure Träume und Visionen umzusetzen und seid dabei mutig und konsequent – UND: Danke für die gute Zusammenarbeit!!!

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Tünnermann! Wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute und hoffen auf noch viele weitere Jahre Innovation und Inspiration.«

 


Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews. Erfahren Sie in dort mehr über Andreas Tünnermanns erste Erfolge in Jena, über den besonderen »Spirit« des traditionsreichen Optikstandortes an der Saale und über die missionsgetriebene Verbindung von exzellenter Forschung und deren Anwendung bei Fraunhofer.

Immer gern im Dialog und Austausch: Andreas Tünnermann in den 2000ern im Gespräch mit Kollegen.
Immer gern im Dialog und Austausch: Andreas Tünnermann in den 2000ern im Gespräch mit Kollegen.